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Craftivism – Handarbeit und Aktivismus

Ich freue mich heute ganz besonders, dir mein neues Thema präsentieren zu dürfen. Es ist nur das erste einer neuen, sich noch formenden Reihe an Themen, die den Bogen etwas größer spannen und sich mit den Kulturen, Techniken und dem gesellschaftlichen Miteinander befassen. Während die meisten meiner Blogbeiträge eher das Klein-Klein (oder mich) betreffen, möchte ich mit dieser Reihe die große Welt in meinen Blog holen. Ich bin schon gespannt auf dein Feedback und wünsche dir viel Spaß beim Lesen! 🙂

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Nicht viele Dinge verbinden die Welt so sehr, wie es Handarbeiten schaffen. Alle Kulturen und Gesellschaften nutzten sie, um ihre Stoffe zu färben, ihre Teller zu töpfern und ihre Pullover zu stricken. Während Handarbeit früher zumeist als Mittel zum Zweck genutzt wurde und vor allem die unterschiedlichen Bedürfnisse befriedigen sollte, nimmt sie eine weitere Rolle ein: Neben dem Aspekt der „Freizeitbeschäftigung“, ist sie ein Werkzeug des sozialen und politischen Aktivismus. Nähen, Häkeln, Stricken und andere Handwerke sind heute ein weltweit genutztes Mittel, um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf Themen zu lenken, Menschen zu mobilisieren und Veränderungen anzustoßen. Du glaubst, du hast davon noch nie etwas mitbekommen? Warts ab! 🙂

Craftivism? Was soll das sein?

„Craftivism“ setzt sich aus den Wörtern „Craft“ (Handwerk) und „Activism“ (Aktivismus) zusammen und wurde bereits in den Anfängen der 2000er Jahre von Betsy Greer geprägt. Ziel war es, die Handarbeit als eine mächtige und gleichzeitig sanfte Methode einzusetzen, um Botschaften zu verbreiten. Komplexe Themen wie beispielsweise die soziale Gerechtigkeit, Frauenrechte oder auch Umweltschutz werden durch Craftivism auf kreative Weise dargestellt und der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Kurz runtergebrochen bedeutet „Aktivismus“, dass man Taten, statt Worte sprechen lässt.

Die Wurzeln des Aktivismus in der Handarbeit

Bereits früher waren die uns bekannten Handwerkstechniken auch ein Zeichen der Selbstbestimmung, des Widerstandes und dienten nicht selten einem politischen Zweck. Es gibt unzählige spannende und inspirierende Beispiele in der Geschichte der Handarbeit.

2021 entwarf Tanja Steinbach einen lässigen Pullover, der aus dem Garn „Per Fortuna von Lana Grossa“ (Werbung) gestrickt wurde. Das viereckige Design sprach mich an und die Community startete gemeinsam in den KAL. Ich durchwühlte die breite Auswahl an Farben und entschied mich für eine Farbkombination, die ich schon seit langem im Auge hatte. „Grün, Weiß, Violett„, die Farben der Suffragettenbewegung.

Grün (Give), Weiß (Women), Violett (Vote) – Gebt Frauen Wahlrecht! Die Farben waren das Erkennungsmerkmal der Frauenrechtsbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts, die u.a. für das Wahlrecht der Frauen kämpfte und teilweise unglaubliche Qualen erleiden musste. Ihre politischen Botschaften stickten sie auf Bannern, um ihre Forderungen nach einem Wahlrecht zu unterstreichen und die Gesellschaft zum Umdenken zu bewegen. Ein extrem spannendes Thema, das ich dir nur ans Herz legen kann!

Der dazugehörige Blogbeitrag (HIER) war der erste, bei dem ich bewusst den dicken Zeh in politisches/soziales Fahrwasser tunkte. Zwar liebte ich es schon immer zu schreiben, aber NUR Handarbeit, bunte Wolle und elegante Strickmuster reichten mir noch nie aus, um einen – MEINEN – Blog zu gestalten. Damals wie heute ist mir das Thema wichtig und so probierte ich, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden und den damaligen Aktivismus mit meinem heutigen Klein-Klein zu verbinden.

Auch andere Beispiele, wie die Proteststickereien in Lateinamerika, die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren und auf das Verschwinden von Personen aufmerksam machen sollten, sowie Stickereien, die als geheime Kommunikationsmittel dienten, um Sklaven Fluchtwege aufzuzeigen, sind Beispiele für Craftivism.

Hier und Heute

Die Craftivism-Bewegung hat auch heute noch die gleiche Schlagkraft, wie vor hundert Jahren und wird weltweit genutzt, um auf gesellschaftliche Themen aufmerksam zu machen. Hier nur einige Beispiele:

  • Yarn Bombing: Hier zu Lande wahrscheinlich eine der häufigsten und bekanntesten Kunstformen. Hierbei werden öffentliche Räume mit gestrickten oder gehäkelten Werken umhüllt, um beispielsweise für die Themen „Obdachlosigkeit“ oder auch „Umweltschutz“ aufmerksam zu machen.
    Vor einiger Zeit interessierte es mich, warum in Düsseldorf einige Poller bunt behäkelt wurden. Ich stieß auf eine Internetseite, die von den Initiatoren ins Leben gerufen wurde, um über den Nutzen aufzuklären.
    Hintergrund ist, dass viele sehbehinderte Menschen die grauen Poller auf der grauen Straße kaum oder sogar gar nicht wahrnehmen und sich dadurch verletzen können. Durch die bunten Kunstwerke kann das Risiko minimiert werden – ist das nicht toll?
  • Klimaprotest:There is no Planet B“ wird oft von aktivistischen Gruppen auf Banner gehäkelt oder gestrickt, um bei Klimaprotesten ein Statement zu setzen.
  • Pussy-March: Frauenrechte sind ein immer wiederkehrendes Thema des Craftivism. Auch heute noch wird das Mittel genutzt, um gegen Sexismus und für Gleichberechtigung Aufmerksamkeit zu schaffen. Ein schönes Beispiel hierfür ist der Women´s March in Washington, bei dem pinke Häkel- und Strickmützen getragen werden.
  • Greenpeace Crochet Coral Reef: Falls du auf Facebook oder anderen sozialen Netzwerken unterwegs bist, hast du dieses Projekt bestimmt schon gesehen! Hierbei wird Kunst clever mit Wissenschaft kombiniert und auf die Zerstörung der Korallenriffe durch den Klimawandel aufmerksam gemacht. Tausende Handarbeiterinnen und Handarbeiter häkeln gemeinsam Korallenriffe, um die Botschaft in die Welt zu tragen.
  • Aktion Grüne Socke: Aber auch kleinere Projekte sind allgegenwärtig in der Handarbeitswelt. Du strickst grüne Socken für Frauen mit Eierstockkrebs oder pinke Socken für Frauen mit Brustkrebs? Ja, auch das ist Craftivism! Auch meine Wegfinder-Socken (Blogbeitrag), die für Frauenhäuser gestrickt werden sollen, sind eine Form des Aktivismus.
  • Glückswürmchen: Wohl kaum ein anderes Handarbeitsprojekt ist SO durch die Decke gegangen, wie die Glückswürmchen. Sie werden anonym gehäkelt, verteilt und sollen den Findern Freude bereiten. Mehr dazu erfährst du in DIESEM Blogbeitrag.

Aber… wieso Handarbeit? Und warum ist es solch ein starkes Mittel?

Im Gegensatz zu vielen anderen Protestformen, haben Handarbeiten viele verschiedene Eigenschaften, die sie besonders wirkungsvoll machen.

  • Barrierefreiheit! Handarbeit kennt kaum Barrieren! Du sitzt im Rollstuhl? Absolut egal! Du hast wenig Geld? Es wird dir Garn zu Verfügung gestellt! Du suchst nach einem Projekt, was DIR etwas bedeutet und aus dem Herzen spricht? Du WIRST es finden! Du möchtest etwas bewirken, etwas beisteuern, bist aber gnadenlos schüchtern? Auch das ist kein Problem, schicke deine fertigen Stücke einfach dort hin, wo es gebraucht wird. Nicht zuletzt kann jeder und jede Handarbeiten lernen und sie dann einsetzen.
  • Gemeinsam, statt einsam! In einer Welt, die aus Algorythmen, Zahlen und Binärcodes besteht, das Individuum auch nur ein Follower von Vielen ist, können Handarbeiten Menschen wieder miteinander verbinden. Viele Gruppen, die aktiv Craftivism betreiben, haben ein starkes Zugehörigkeitsgefühl und sind offen für neue Mitglieder. Gemeinschaftlich an Projekten arbeiten, mit einem Ziel vor Augen, ist eine wunderbare Erfahrung für viele Menschen, die sich ggf. selbst einsam oder machtlos fühlen.
  • Du liebst es? Sprich drüber! Handarbeiten sind und waren schon immer Eyecatcher. Wir alle kennen den Moment, wo Nicht-Handarbeiterinnen und Handarbeiter deine stinklangweiligen Stinos bestaunen und FASSUNGSLOS sind, wie man sowas erschaffen kann. Bestickte Banner, Socken mit Botschaft ziehen unweigerlich Aufmerksamkeit auf sich und regen Gespräche an.
  • Lang-sam-keit: Unsere Welt ist schnell. Sie ist so schnell, dass man an manchen Tagen kaum hinter her kommt, den Feed auf Instagram aktuell zu halten, die Nachrichten zu sichten oder den neusten Shit zu erfahren. Wir sind gestresst, visuell und informativ viel zu überladen und sind oft überfordert mit der Hektik des Alltags. Das Leben ist mittlerweile ein Sprint, bei dem man täglich allem hinter her jagt, was es nur zu jagen gibt. Handarbeit jedoch, ist der Gegenpol. Du kannst NICHT die Stricksocken beenden, bevor du nicht die xy Maschen zuvor durchgezogen hast. Es gibt KEINE Abkürzungen, du kannst dich NICHT beschummeln. Es geht nur in dem Tempo, wie es geht und ist somit das genaue Gegenteil unserer Gesellschaft. Handarbeiten können dich rausholen, dich in einen meditativen Zustand versetzen und können quasi selbst als Protest verstanden werden.

Ok, ich hab Bock! Aber wie kann ich mich an Craftivism beteiligen?

Das ist wunderbar und dir steht eine große Welt an Projekten offen, die deine Hände gut gebrauchen können. Denn dass ist das Wichtigste bei dieser Form des Aktivismus: Du.

  • Du bist eine Macherin oder ein Macher und möchtest gleich ein komplett eigenes Projekt starten? Prima! Organisiere dir eine Gemeinschaft, z.B. eine Strick- oder Häkelgruppe und strickt Socken, Decken oder Mützen für deine Herzensangelegenheit. Du möchtest keine Vor-Ort-Gruppe gründen? Auf Instagram, Social Media und Co. wirst du auf alle Fälle Mitstreiter finden!
  • Etwas, was ich total cool finde, aber selber nicht kann: Besticke Maschenproben, Strickmützen oder andere Projekte mit deiner politischen oder sozialen Botschaft und verbreite die Bilder auf Social Media oder bei Demonstrationen. Du glaubst nicht, wie wirkungsvoll ein Bild sein kann, dass im Internet viral geht. Nur Mut und nutze deine Fertigkeiten!
  • Yarn Bombing ist ebenfalls eine gute Möglichkeit, wie du dich schnell und effektvoll an Protesten beteiligen kannst. Behäkle oder bestricke deine Umwelt mit deinen bunten Kunstwerken. Aber bitte sei vorsichtig! Lose Fäden können Tieren Schaden zufügen, arbeite bitte sorgsam.
  • Eine Häkelgruppe ist cool, viele Häkelgruppen aber noch besser? Warum nicht gleich Workshops geben? Nimm Kontakt zu Schulen auf, Altenheimen oder anderen Einrichtungen und kläre auf, wie sie Handarbeit als Ausdruck von Aktivismus nutzen können.
  • Lasse deiner Fantasie und deiner Kreativität freien Lauf. Es gibt keine Grenzen, es gibt keine Hindernisse, die deine Gedankenspiele begrenzen sollten.

Wie alles, hat auch Craftivism Herausforderungen

Natürlich werden sanfte Protestformen von vielen als „zu sanft“ wahrgenommen und daher kritisiert. Die Kritiker argumentieren, dass dadurch die Botschaft kaum bemerkt wird und man das eigentliche Ziel verfehlt. Das Gleiche gilt für die Ästhetik. Kann ein kleines Kunstwerk mehr, als nur schön sein? Ist die Botschaft in Gefahr, wenn das begeisterte Staunen nachlässt und der Betrachter weiterzieht? Natürlich ist das ein Thema, dem man sich widmen muss. Aber wer ehrlich ist, weiß, dass es keine Protestform gibt, die alle Menschen erreicht und allen zugänglich ist.

Wichtig hierbei ist, dass die Botschaft klar und gut kommuniziert wird. Wie wäre es mit einer passenden Internetseite dafür? Oder Influencer, die in ihrer Story auf dein Projekt aufmerksam machen? Nur weil Protest als „sanft“ wahrgenommen wird, muss er noch lang nicht effektlos sein.

Hat Craftivism eine Zukunft?

Solange es politische Zerwürfnisse gibt und soziale Probleme, wird diese Form des niederschwelligen Aktivismus eine Zukunft haben und eine wichtige Rolle spielen. Ich glaube sogar, dass die Rolle immer weiter anwachsen wird und unsere zunehmende Digitalisierung neue Plattformen bietet, auf denen man Gleichgesinnte Treffen und Botschaften verbreiten kann.

Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht in irgendeiner Art und Weise Unrecht sehe, mich über Ausgrenzung ärgere, Inklusion als gescheitert anerkenne, Menschen mit schweren Krankheiten oder grausamen Schicksalen begegne. Ich sehe Menschen, denen ich eine Freude bereiten und ich sehe Themen, denen ich eine Bühne geben will. Ich spüre Zerwürfnisse in unseren Gesellschaften, ich spüre, dass meine Rechte als Frau Vielen nichts Wert sind und ich kenne meine eigene Kraft. Ich weiß, dass mein Handeln etwas bewirken kann und Schweigen Folgen hat.

Für MICH und MEIN Leben gehört Craftivism dazu, wie die Luft zum Atmen, wie meine Familie und wie mein Name. Ich fühle mich – dank dieser Möglichkeit – zwar oft klein, aber niemals ohnmächtig. Menschen mit einem Glückswürmchen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, ihnen einen Moment des „Gesehen Werdens“ zu schenken, wenn sie einen Blogbeitrag lesen, ist die Form von Aktivismus, die ich gewählt und lieben gelernt habe.

Fazit

Wir alle wissen, dass Handarbeit viel viel mehr als nur ein Hobbie ist. Sie verbindet, sie inspiriert und sie ist ein starkes Werkzeug, sie ist deine Stimme. In einer Welt, in der man sich als Individuum so unfassbar machtlos fühlen kann, ist eine Häkelnadel und ein bisschen Garn manchmal genau das, was es braucht.


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