Ach du Strick!

Liebloses Stricken

Zugegeben, der Blogtitel ist etwas provokant gewählt. Zugegeben, vielleicht auch nicht. Nicht nur an mir, sondern auch an vielen anderen Handarbeiterinnen und Handarbeitern habe ich es bemerkt und mich gefragt, wie es soweit kommen konnte.

Was meine ich?

Vor einigen Monaten ist mir aufgefallen, wie viel ich mir in den letzten Jahren vorgenommen und wie wenig ich tatsächlich umgesetzt habe. Klar, der Blog wurde regelmäßig mit Inhalten gefüttert, aber weder das Zweifarbige Patent des Shake it up Shawls, noch das Fair Isle meines Socken-Projekts habe ich durchgezogen.

Keine Zeit, keine Motivation, keine Fähigkeit.

Irgendwann traf mich die Erkenntnis, wie ein Blitzschlag und ich stellte fest: Ich produziere nur Masse und wenig Klasse. Kurz: Mir sind 5 fertige Paar Socken wichtiger, als 1 Paar in einem Muster bzw. in Fair Isle, obwohl ich sie unglaublich schön finde.

Handarbeiten sind und waren für mich schon immer mehr, als wärmende Kleidungsstücke und eigentlich hat meine Vorliebe für die Kunst die gleiche Strahlkraft, wie vor 3 Jahren. Und dennoch habe ich mich nicht weiterentwickelt und bin auf meinem Kenntnisstand stehen geblieben. Doch was unterscheidet Handarbeit von Industrieware, wenn es nichts Besonderes ist und ich immer nur den Weg des geringsten Widerstandes gehe?

Der Weg zum Lieblosen Stricken

Natürlich kann ich heute nur von mir sprechen, aber vielleicht bin ich eben doch nur ein Kind meiner Zeit. Es gibt verschiedene Gründe, die mich in die blanke Massenproduktion getrieben haben und bei den Meisten komme ich nicht gut weg. Aber wer mich und den Blog kennt weiß, dass mich das noch nie gehindert hat, kleine und unangenehme Wahrheiten auszusprechen 🙂 Also, legen wir los.

Content

Der wohl unangenehmste und ehrlichste Grund, den ich hier aufführen kann, ist der „Content“, sprich: Inhalt. Als Blogbetreiberin brauche ich immer Futter für neue und hoffentlich spannende Themen. Die Königsdisziplin ist erreicht, wenn ich „schnellen“ Content produziere, mit dem ich wöchentlich einen neuen Blogbeitrag rausballern kann. Und… obwohl ich bei dem Spielchen nicht mitspiele, spiele ich irgendwie trotzdem mit.

Im Gegensatz zu vielen anderen, wirklich großen Handarbeitsblogs, habe ich mich nie dazu hinreißen lassen, dutzende Beiträge für einzelne, 2 Minuten Häkelprojekte zu erstellen, Wochenrückblicke oder Ähnliches zu posten. Das ist grundsätzlich nichts Schlimmes, die Leserinnen und Leser lieben es und ich verstehe die Gründe, die dahinter stecken, es war aber nie mein Weg. Das habe ich schon immer an der Bloggerlandschaft geliebt, dass jeder sich sein virtuelles Zuhause so gestalten kann, wie es für ihn am besten passt. Und auch ich habe Beiträge, die ich zwar grundsätzlich interessant finde, die aber auch nicht unbedingt einen Beitrag gebraucht hätten. Denke ich.

Zum Beispiel: Braucht es wirklich einen ganzen Blogbeitrag zum Thema Zebragarn? Oder einen Beitrag zum Thema Bunte Bündchen? Zwar liebe ich das Schreiben und erstelle meine Blogbeiträge nach wie vor, um mir was von der Seele zu kritzeln, aber ausnahmslos die höchste Form des Contents ist es natürlich nicht. Auch auf meinem Blog kannst du klassische Füllerthemen finden, die immer dann erscheinen, wenn ich den Leserinnen und Lesern gegenüber ein schlechtes Gewissen habe und etwas „liefern“ möchte, ohne etwas zum liefern zu haben. Zwar kommt das eher selten vor, da ich dann lieber gar nichts hochlade und ich glaube auch, dass ich an der Stelle vielleicht sogar etwas zu hart zu mir selbst bin, aber es fühlt sich eben so an.

Mein eigentliches Content-Problem ist dein Weg zu mir, die Werbung. Werbung. Hättest du es gedacht? Während andere Handarbeitsblogs in einem Monat mehr Beiträge produzieren, als ich im gesamten Jahr, geht meine Zeit für die Bekanntmachung drauf. Natürlich kam irgendwann der Punkt, an dem ich meinen Blog mit der Öffentlichkeit teilen wollte und ich entdeckte Pinterest. Pinterest ist eine wundervolle Plattform und nahezu alle meine lieben Leserinnen und Leser kommen über einen Pin zu mir. Eine Tatsache, die ich nach wie vor grandios finde und ich empfinde es als absolute Freiheit, nicht auf Google angewiesen zu sein! Auf Google und Co. gewinnen meist große Blogs, Menschen die Geld für Anzeigen schalten oder sich an andere Spielregeln halten. Mittlerweile hat Google zwar erkannt, dass mein Blog ebenfalls ziemlich groß ist, aber ohne Pinterest wäre es niemals so weit gekommen. Mittlerweile springt der Gigant auf den Zug auf und gibt mir auch in seiner Suchmaschine eine Bühne.

Allerdings hat pinnen einen Preis, zumindest für mich. Jeder Blogbeitrag hat einen gesamten Rattenschwanz, den er hinter sich herzieht und das über Jahre. Damit DU zu MIR kommst, musst du natürlich überhaupt wissen, dass es mich gibt. Das bedeutet für mich, dass die Arbeit am Blogbeitrag nicht vorbei ist, nur weil er veröffentlicht wurde. Nein. Es müssen Unmengen an Fotos und Pins erstellt, bei Pinterest gepinnt und gerepinnt werden. Den zeitliche Aufwand kann ich kaum messen und wahrscheinlich würde ich das auch nicht wollen. Und obwohl ich an manchen Pins wirklich meine Freude habe und mir die saisonalen oder auch die provozierenden Pins besonders gute Laune bereiten, ist es vor allem verdammt viel Arbeitszeit.

Obwohl ich sehr dankbar bin und die Möglichkeit sehr gerne nutze, direkt auf deinem Handy zu erscheinen, nimmt es mir die Zeit, die ich an anderer Stelle benötigen würde. Mein Blog ist und bleibt eine One-Women-Show und das merke ich immer wieder. Zwar habe ich in den letzten Monaten kaum noch gepinnt und ziemlich viel schleifen lassen, aber das Gefühl es zu müssen, da ich sonst in Vergessenheit geraten könnte ist immer da. Verrückt, oder? Dabei geht es nur um Garn und Stricknadeln.

Bequemlichkeit

Irgendwann schlich sich eine gewisse Bequemlichkeit ein. Während mich vor 2-3 Jahren noch der Hunger nach kleinen Herausforderungen packen und motivieren konnte, herrscht heute immer häufiger der Gedanke „Reicht doch„. Es reicht mir einfach, wenn die Socken am Fuß ohne Muster und ohne farblich abgesetzte Bündchen sitzen, ich keine schöne Ferse eingearbeitet habe und jegliche Raffinesse fehlt. Es reicht, weil keiner mehr von mir erwartet. Keiner. Nicht ich, nicht Adam, nicht meine Arbeitskollegen…. Wobei – wenn ich ehrlich und reflektiert bin – es eben nicht allen reicht. MIR reicht es schon lange nicht mehr, aber wenn man es sich nur oft genug sagt, wird es zur Realität.

Keine Nerven

„Keine Nerven“ ist wohl der Punkt auf dieser Liste, der am dominantesten ist und die Vorherigen begünstigt. Ich habe schlichtweg keine Nerven bzw. keine Geduld mehr. Es passiert so viel auf dieser Welt, mit dem ich immer weniger gut zu recht komme und auch im Privatleben empfinde ich Vieles als anstrengend. Das Pendeln von Düsseldorf nach Köln, der tägliche Wahnsinn rund um Aufräumen, Arbeiten, Einkaufen, Nachrichten konsumieren, sich um Freunde und Familie kümmern, zwischendurch zur Physio, um Verspannungen zu lösen. Vieles nimmt meine Zeit, meine Gedanken und den Kopf in Anspruch und wenn ich mittlerweile auf der Couch sitze und nichts meine Aufmerksamkeit fordert, bin ich nicht breit diese Ruhe mit Handarbeiten zu stören. Das war mal anders. Es gab eine Zeit, in der die Handarbeiten mich aus diesem schnellen Strudel retten und ich dabei Abschalten konnte.

Ich habe sogar ein Praxisbeispiel für dich. Mein Projekt „Kegeltierchen“ sollte schon längst weiter sein und ich liebe es, daran zu arbeiten. Allerdings bin ich so unruhig und unkonzentriert, dass ich ständig meine Notizen wegschmeiße oder nicht mehr nachvollziehen kann, zu welchem Tierchen was gehört. Ich nehme mir nicht die Zeit, mich geordnet an den Platz zu setzen und einfach durchzuziehen. Das bedeutet nicht, dass ich mir keine Mühe gebe und dir etwas Schönes präsentieren will. Ich bemühe mich sogar sehr, aber mein Kopf spielt schlichtweg nicht mehr so mit, wie er es vor einigen Jahren noch tat. Ich habe 2 Kegeltierchen Blogbeiträge komplett fertig geschrieben (Funfacts, Grundgerüst des Körpers, Einleitung, etc), bei einem Kegeltierchen mit einem wundervollen, eingebetteten Video (Nebenbei kannst du wunderbar häkeln oder stricken – du wirst es lieben!), aber die Anleitung habe ich leider weggeschmissen und muss von Neubeginnen, inkl. Auftrennen der bisherigen Arbeit. Danke, Vergangenheits-Steffi.

Ich denke, der Stress im Allgemeinen ist das, was am meisten „Liebe zur Kunst“ gekostet hat. Liebloses Stricken bedeutet für mich, dass ich es nur noch nebenbei mache, wenn gerade mal Zeit ist und dann bitte auch nichts Aufregendes. Nichts mit Herzblut, Hauptsache mal was fertig. Vielleicht magst du an der Stelle sagen: Hey, das ist kein Wettbewerb und es soll doch nur entspannen… aber ich hätte sehr gerne endlich ein Paar Fair Isle Socken, mit wunderschönem Muster!!! (Größe 42 und recht stämmige Waden, HUST, HUST :D)

Tipps, raus aus dem Teufelskreis

Sorry, hätte ich Tipps, gäbe es den Beitrag nicht 😀 Ich probiere schon seit vielen Monaten aus, wie ich das Thema in den Griff bekomme und wie ich mich selbst dabei unterstützen kann. Ein Weg ist beispielsweise meine Adventsbox, die ich mir selbst zusammengestellt habe. Der Plan sieht vor, mir ganz bewusst Zeit im Advent zu nehmen und ein Paar Gundelsocken zu stricken – als kleine beginnende Tradition. Ich freue mich schon drauf und hoffe, es durchziehen zu können.

Ein weiterer Schritt aus dem Teufelskreis ist dieser Blogbeitrag. Etwas auszusprechen und eine Wahrheit in die Welt zu setzen, andere Menschen daran teilhaben zu lassen, kann manchmal Wunder bewirken. Schon viel zu lange grüble ich alleine über diese Gedanken nach und dabei bin ich mir sicher, dass es vielen Handarbeiterinnen und Handarbeitern genauso geht. In einer Zeit des rasanten Wandels, die uns manchmal überfordert, ist es umso wichtiger, sich auszutauschen und zu verbinden. Dieses kleine Blog-Schaufenster in meine Persönlichkeit liebe ich nach wie vor. Ich freue mich auf eure Interaktionen, darauf, mich euch mitzuteilen, mich kreativ auszutoben und viiiiel zu lange Texte zu schreiben – wie am ersten Tag.

Ich glaube sogar, dass das eigentlich das Traurigste daran ist: Ich merke, wie gerne ich würde und wie sehr ich will, aber es klappt einfach nicht.

Zu guter Letzt bleibt mir wahrscheinlich nur die Nachsicht. Nachsicht mit mir selbst, keinen zusätzlichen Druck durch “Ich will aber!” aufzubauen, und Nachsicht, indem ich es nehme, wie es kommt. Vielleicht belaste ich mich selbst am meisten, und es muss gar nicht jeder besonders schöne Socken stricken können – auch wenn mich das fuchsteufelswild macht. 😀


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